Ich gebe ja zu, auch ich bin ein Marketingopfer und habe mich in diesem Jahr dem riesen Trend der Gravelbikes unterworfen. Über Sinn und Unsinn dieser Radgattung kann man sicher vortrefflich streiten, genauso sicher ist aber auch, dass diese Geschosse auf den Schotterpisten der Nation einfach unfassbar viel Spaß bereiten. Leicht, wendig und schnell – für mich der absolute Kontrast zu meinem E-Bike, mit dem ich gerne lange, aber eher entspannte Runden drehe. Mein heutiger Tourentipp führt auf die Ruhrhöhen zwischen Mülheim an der Ruhr und Essen-Werden. Ihr braucht nicht zwingend ein Gravelbike, aber es sollte schon jedem klar sein, dass der Untergrund öfters mal „etwas ruppiger“ sein kann und die Tour ohne E-Bike schon „ordentlich sportlich“ ist.
Lust auf eine kleine Runde durchs Allgäu?
Mein Kollege Pascal und ich hatten trotz des Wonnemonats Mai eigentlich mit dem gerade so typischen Aprilwetter gerechnet. Aber so viel vorweg: Am Ende hatten wir Glück und kamen trocken, bei weitestgehend bestem Frühlingswetter durch! Für mich ist diese Tour quasi eine Runde durch mein „Wohnzimmer“. Pascal, der wiedermal für die tollen Bilder dieses Artikels zuständig ist, ist dagegen zum ersten Mal in dieser Ecke unterwegs und sehr überrascht: „Wir sind doch hier im Allgäu!“, lautet auf halber Strecke seine Zwischenbilanz. Nicht ganz zu Unrecht, denn die Hügel oberhalb der Ruhr sind doch sehr geschmeidig geschwungen, tolle Ausblicke, viele Felder und noch viel mehr Höhenmeter charakterisieren diese rund 55 Kilometer lange Runde. Nur die Kässpätzle haben am Ende gefehlt…
Startort ist Mülheim an der Ruhr
Am besten startet Ihr die Tour im Zentrum von Mülheim an der Ruhr, dann passt der Spannungsbogen perfekt. Lockeres einradeln, erste Höhenmeter im Wald, dann der sportliche Teil mit knackigen Anstiegen, eine kulinarische Pause an der Straußenfarm und schließlich entspanntes Ausradeln zurück. Der Hauptbahnhof ist mit dem Zug ideal erreichbar, Autofahrer finden auf beiden Seiten der Ruhr direkt am Radschnellweg Ruhr (RS 1) große Parkplätze, die auch nicht wirklich teuer sind. Für ein kurzes Stückchen genießen wir den hier schon traumhaft ausgebauten RS 1 und bringen uns erstmal auf Betriebstemperatur…
Es könnte so schön sein… der Radschnellweg Ruhr
Viel zu schnell endet der ausgebaute Radschnellweg und wir fahren links und rechts der geplanten Strecke weiter Richtung Duisburg. Immer wieder blicken wir mit einer Mischung aus Neid und Wehmut runter auf das zugewachsene Gleis. Dort könnten wir eigentlich so entspannt dahingleiten. Aber die Wege daneben funktionieren eigentlich überraschend gut, auch wenn immer wieder Engstellen bei Gegenverkehr entstehen. Wir tauchen schließlich ein ins Waldgebiet von Duisburg und das Gravelbike fühlt sich gleich viel wohler auf den schönen Waldwegen. Ein kleiner Weiher im Nachtigallental sorgt für die erste Trinkpause und tiefe Atemzüge in der herrlichen Natur.
Auf Gravel-Jagd durch die Duisburger Wälder
Wir queren die Bahngleise durch zwei Unterführungen und fahren nun in südlicher Richtung. Die Wälder hier sind überraschend groß, bis nach Düsseldorf kann man mit nur wenigen Straßenquerungen im Wald radeln. Gefühlt gibt es hier tausend Wegekombinationen – vom asphaltierten Sträßchen über unzählige Forstwege bis hin zu lässigen Trails. Unser Bodenbelag wechselt zwischen nervigem Asphaltflickenteppich und schönstem Waldweg hin und her. Wir passieren Bäume, die leider schon ihre Lebenskraft verloren haben – der Klimawandel lässt vermutlich grüßen. Ich bin kein Biologe und kenn mich damit nicht aus, aber ein wenig traurig sieht es schon aus.
Pures Landleben
Ein großer Golfplatz markiert schließlich das Ende des Waldgebietes. Am Wegesrand gibt es selbstgemachte Marmelade und leckeren Apfelsaft. Bezahlen in einer kleinen Box ist quasi „Ehrensache“ – hier ist die Welt halt noch in Ordnung. Die Wohnsiedlung gehört zu der schickeren Variante. In Mülheim Selbeck rollen wir durch ein kleines Dorfzentrum mit großer Kirche hindurch, dann folgen Reiterhöfe, Felder und pure Landidylle.
Grenzgänger-Tour: Ein wenig übers Ruhrgebiet hinaus
Hinter der A 52 verlassen wir den „Pott“ und sind nun in Ratingen. An der Optik der Tour ändert sich nichts. Weiterhin reiht sich ein Feld an das andere und es scheint hier eindeutig mehr Pferde als PKWs zu geben. Hinter dem Hasenbroicher Hof wird’s in einem Waldgebiet kurz geländegängiger, bevor wir über Wohnstraßen durch Hösel rollen. Nach einer steilen Abfahrt führt uns die Niederbergbahntrasse – ein bestens ausgebauter Bahntrassenradweg hinein ins Bergische – über ein historisch ausschauendes Viadukt nach Kettwig.
Ein wirklich sportliches Auf- und Ab
Spätestens jetzt sollten die Waden aufgewärmt sein, denn es wird richtig sportlich. Über den Sengenholzer Weg strampeln wir uns das erste Mal steil berghoch nach Isenbügel. Oben angekommen brennen die Oberschenkel und es geht direkt wieder vorbei an weiten Feldern abwärts. Der Vergleich zum Allgäu ist hier absolut treffend. Die Landschaft ist richtig schön geschwungen und entweder werden die Waden oder die Finger an den Bremshebeln ordentlich gefordert. Da freut man sich vor dem nächsten Aufstieg über die Holzbank am Wegesrand.
Wer Steigungen nicht mag, ist hier definitiv falsch aufgehoben. Die nächste steile Rampe auf weichem Boden steht an, dann wieder eine Abfahrt und wieder ein langer Anstieg – dieses Mal über Asphalt.
Wir genießen den weiten Panoramablick oben auf dem Kam, sehen weit am Horizont die markante Autobahnbrücke der A 52 über das Ruhrtal und radeln weiter Richtung Werden. Hoch, runter, wieder hoch und wieder runter – hier jagt ein Höhenmeter den nächsten. Schließlich erreichen wir den schönen Ortsteil Essen-Werden. Wer sich hier eine kurze Pause gönnen will, sollte einen Rundgang durch die schöne Altstadt machen oder ein leckeres Eis beim Kikas Eiscafé direkt am schicken Brunnen schlecken. Uns zieht es jedoch direkt weiter auf die andere Ruhrseite, dann ein Stückchen RuhrtalRadweg vorbei an der ehemaligen Papiermühlen Schleuse und dem Restaurant Zwölf Apostel.
Die Straußenfarm
So langsam bekommen wir Hunger und freuen uns auf ein kleines Päusken. Ein letzter Anstieg am Rutherweg bringt unsere Waden nochmal ordentlich zum Glühen, dann erreichen wir die Straußenfarm. Ein wirklich ungewöhnlicher Ort mitten im Ruhrgebiet. Die riesigen Vögel lassen sich wunderbar von einer Aussichtsplattform beobachten.
Wer sich aktiv austoben will, kann dies beim Fußballgolf oder Swinggolf machen. Oder man lässt es sich (je nach aktueller Corona-Situation) einfach kurz gut gehen im Restaurant (oder notfalls beim Take-Away) bei einem leckeren Straußensteak oder Burger – eine absolute Empfehlung!
Mit vollem Bauch rollen wir leider nur ein kurzes Stück bergab. Dann folgt der letzte, ernsthafte Anstieg hoch nach Kettwig. Die kleine Kapelle Maria im Maien ist ein wundervoller, stiller Ort, damit die Seele ein wenig zur Ruhe kommen kann.
Dann geht es zurück Richtung Mülheim an der Ruhr. Ein letztes Mal genießen wir die geschwungenen Hügel über dem Ruhrtal, sausen abwärts an Feldern und alten Höfen vorbei.
Wir fahren durch das Naturschutzgebiet Rohmbachtal und Rossenbecktal und passieren ein tolles Fachwerkhaus, dass früher einmal eine Dorfschule beherbergte.
Schließlich gelangen wir an die Ruhr und rollen entspannt auf dem ehemaligen Treidelpfad direkt am Wasser entlang bis zur Mendener Brücke. Oft ragen die Bäume weit über das Wasser hinaus, Wildgänse ziehen am Wegesrand ihren Nachwuchs groß und Fischreiher lauern auf ihr Mittagessen – das Naturerlebnis ist auch an der Ruhr unfassbar intensiv.
Noch einmal queren wir die Ruhrseite, denn unser nächstes Ziel ist das Kloster Saarn mit entspanntem Kräutergarten und nettem Klostercafé.
Die Schlussetappe
Auf dem Bahntrassenradweg der Ruhrtalbahn rollen wir die letzten Meter aus. Wir gelangen zum RuhrtalRadweg und folgen ihm bis zum Müga-Park am Schloss Broich. Die Camera Obscura wäre ein kultureller Abschluss der Tour, bevor wir über den RS 1 zum Ausgangspunkt zurückradeln.
Fazit: Viele Höhenmeter, leider etwas wenig Schotter
Sportskanonen und Kletterjunkies wird die Tour erfreuen. So viele Höhenmeter auf so kurzer Strecke findet man nicht oft im Ruhrgebiet. Das ständige Auf- und Ab ist anstrengender, als ein konstanter Aufstieg in den Alpen. Viele Sehenswürdigkeiten liegen nicht am Wegesrand, dafür zieht die wunderschöne Landschaft Besucher in ihren Bann. Wenn die Biergärten am Wegesrand jetzt endlich wieder öffnen bzw. geöffnet haben (checkt die aktuellen Coronaregeln), ist die Runde noch attraktiver. Vor allem die Straußenfarm bietet genügend sündige Häppchen an, um sich für die vielen Höhenmeter stattlich zu belohnen. Für mich findet dieser kleine, sportliche Ausflug das wohlverdiente Ende im privaten Garten mit einem leckeren Büble Weißbier aus dem Allgäu und einem sehr zufriedenen Grinsen im Gesicht.
P.S. Noch mehr Gravel-Runden findet Ihr übrigens in unserer neuen Komoot-Collection: www.komoot.de/collection/1133784/-die-laessigsten-graveltouren-im-radrevier-ruhr
Hallo zusammen,
2 Freude und ich sind gestern diese Tour nachgefahren…Sehr schön – Prima
hat viel spass gemacht…
gruss Micha
Locker und leicht so eine Tour an der Ruhr mit Takeaway und Strauß,
Schöne Bilder vom Mai 2021 in Mülheim und Kettwig.