Das coole Ruhrgebiet? Um ehrlich zu sein, wusste ich gar nicht so richtig, was mich in der Region erwarten würde. Bestimmt gab es inzwischen keine qualmenden Fabriken und Kohleberge mehr. Aber wie hatte sich der Ballungsraum um Dortmund, Essen und Bochum entwickelt? Ich hatte schon von einigen schrägen Dingen gehört. Schlafen im Knast. Graffitis auf Autobahnpfeilern. Kunterbunte Cafés. Das musste ich mit eigenen Augen sehen! Und ich muss gestehen, es ist ein cooles Ruhrgebiet…
Kreativität tanken im Unperfekthaus Essen
Als Ausgangspunkt für erste Erkundungstouren ging es in das Unperfekthaus, mitten im Stadtzentrum in Essen. Schon von außen fiel es gehörig auf mit seinen Metallbalkonen, grünen Pflanzen und gelben Schriftzeichen. Ein riesiger roter Sessel lud zum Verweilen neben regenbogenfarbenen Picknickbänken ein.
Drinnen nahmen die Überraschungen noch mehr zu. Das Unperfekthaus kann man ganz vereinfacht als einen Kreativ-Hub bezeichnen, aber simpel ist hier nichts. An jeder Ecke war etwas Neues zu entdecken. Jedes Zimmer war einzigartig. Plüschtierarbeiten direkt neben alten Computerteilen und Schreinereien auf dem Balkon? Künstlerwerke wurden in den bunten Korridoren angeboten und auf der Dachterrasse konnte man Ruhe tanken.
Direkt nebenan befand sich das Unperfekthotel, in dem ich unterkam. Die Räume sind geräumig und modern mit Kaffeestation und durch die zentrale Lage ließ sich Essen von hier aus super erkunden. Gegenüber befindet sich ein großes Einkaufszentrum über der U-Bahn-Station und der Uni-Campus ist auch gleich in der Nähe. Per Fuß ist man in einer Viertelstunde am Bahnhof.
Graffiti-Kunst in Essen und Dortmund
Inspiriert von so viel kreativer Energie wollte ich die Straßenkunst des Ruhrgebiets näher kennen lernen. Entgegen meinen Erwartungen, war diese aber nicht überall in der Stadt zu finden, sondern nur an ganz bestimmten Orten. Von hässlichen Taggings und riesiger Kullerschrift war nicht die Rede. Stattdessen verschönerten riesige Kunstwerke vormals kahle Betonkonstruktionen. Direkt am Stadtrand, unter der A42 in Essen, wurde ich schließlich fündig.
Jede Kante der Pfeiler war individuell besprüht. Manches war politisch angehaucht, wie der händefuchtelnde Trump, der Graffiti wieder „great“ machen wollte. Oder die mahnende Warnung in kaltem Blau, dass wir uns zu sehr von den Medien beeinflussen lassen. Anderes war einfach nur bunt oder lustig-blöd. Wie die pinken Flamingos, deren Hälser sich durch das Bild schlängelten.
In Dortmund war gar eine ganze Straße in ein öffentliches Mosaik verwandelt. Gemeinschaftlich, kritisch und mit Lokalliebe. Einige der Werke entstanden in Zusammenarbeit mit der Nordschule, aber jedes Graffiti sah fantastisch aus. Vor allem am Ende der Weißenburger Straße faszinierte eine mehrere Meter hohe Fabrikwand mit einem psychedelischen Werk.
Industrie und Natur vereint
Die Überbleibsel der Industriehochzeit sind noch immer im Ruhrpott zu spüren. Die meisten Fabriken sind zwar geschlossen, Stahltürme wurden eingeschmolzen und Eisenproduktionen eingestellt, aber damit ist das Thema nicht einfach nur Geschichte. Denn die Industrie hat die Region geprägt und tut es noch heute. Ehemalige Fabrikareale wurden beispielsweise in Parklandschaften umgewandelt.
So kann man im Landschaftspark Duisburg auf einen ehemaligen Hochofen klettern, in einem Gasometer tauchen gehen oder Konzerte in einer Fabrikhalle besuchen. Interessant sind auch die exotischen Pflanzen, die man im Naturgebiet des Areals betrachten kann. Damals kamen sie als schwarze Passagiere durch den Import ins Land und gedeihen heutzutage prächtig auf dem hiesigen Boden.
In Bochum sollte man sich ein Rad schnappen und durch den Westpark radeln. Über Brücken und entlang noch produzierender Firmen kommt man so zur Zeche Hannover, welche nun ein Museum ist. Der Eintritt ist kostenlos, die Ausstellungen stetig wechselnd. So kann man mal eine richtige Zeche besuchen und sich ein Bild davon machen, wie es damals zugegangen ist.
Halden-Hopping
Eigentlich ist der Ruhrpott ja flach, aber durch den Bergbau und die vielen Aufschüttungen, entstand eine regelrechte Haldenlandschaft. Die ehemals grauen Steinhaufen wurden inzwischen begrünt und sind zum beliebten Ausflugsziel geworden. Da thront schon mal ein 20 Meter hohes Treppengewinde auf einem der aufgeschütteten Hügel und erinnert mehr an eine Achterbahn als eine Attraktion. Sie heißt Tiger and Turtle und liegt im Duisburger Angerpark.
Oder es führen Treppen im Zickzack hinauf und werden von einer quadratischen Konstruktion gehalten, dem Tetraeder. Das ist nichts für Schwindelfreie, aber allemal die kleine Anstrengung wert. Des Nachts wendet Euren Blick zur Halde Rheinpreußen in Moers. Dann nämlich strahlt die größte Grubenlampe der Welt in einem kräftigen Rot und der Haldenhügel gleich mit. Das kann man gar nicht übersehen!
Doch die wohl beeindruckendste Konstruktion gleicht einem modernen Stonehenge. Das Horizontobservatorium auf der Halde Hoheward ist zwar derzeit geschlossen, aber auch so ein richtiger Blickfang. Von der Mitte aus können astronomische Phänomene und exakte Sonnenuntergänge beobachtet werden. Übrigens sind die meisten Halden frei zugänglich und auf Anfrage beim Landschaftspark Hoheward ist es auch möglich, geführte Halden-Touren mitzumachen. Solltet Ihr eine Gehbehinderung haben, könnt Ihr außerdem eine Erlaubnis einholen, mit dem Auto hinaufzufahren.
Zwischenstopp in den USA beim Road Stop Motel Dortmund
Am Ende des Tages fiel ich dann ganz erschöpft von den vielen bunten Impressionen in mein rundes Bett und schaute den goldenen Lichtreflektionen zu. Im Las Vegas Raum des Road Stop Motel in Dortmund war es nicht minder spannend Neues zu entdecken. Die Wände waren mit Spielchips und –karten dekoriert. Es gab eine weiß-goldene Badewanne neben dem Bett und einen Spielautomaten, der gleichzeitig auch ein Waschbecken war.
Nebenan konnte man in einem Knast schlafen. Mit Gitter und Klo im Zimmer. Der Raum war leider schon besetzt. Er ist gerade bei Familien mit Kindern beliebt. Die Eltern können dann zwischen den anderen Räumen wählen. Zum Beispiel einem großen Wasserbett unter einem Baum im NYC Central Park Zimmer. Oder in einem sonnigen Traum aus weiß und rot im LA-Raum.
Urig und Wild West-mäßig ging es um die Ecke im Jim Beam Raum zu. Das Klo war hinter einem Wellblech versteckt und ein Bad konnte man in einer klassischen Holzwanne mit Schuber nehmen. All diese Räume entstanden auf Nachfrage der Gäste des ursprünglichen Road Stop Restaurants im Erdgeschoss. Mit USA-Souvenirs verzierte Wände machen richtig Lust auf die Burger, Pommes und Milkshakes im Angebot. Es gab sogar eigenes Road Stop Bier.
Szene- und Foodie-Viertel
Auch für Foodies und Leckermäulchen gibt es einiges zu ernaschen. In Essen sollte man zum Beispiel in Rüttenscheid vorbeischauen. Beliebte Orte sind Cafe Click, Ampütte oder Daktari. Richtig gemütlich habe ich mir es dann aber in Dortmund im Kreuzviertel gemacht. An der U-Bahn Station Kreuzstraße ausgestiegen, ist es nur ein Katzensprung bis zu den ersten Lieblingsspots.
Den Bauch konnte ich mir beim Mittagsmenü im Schönes Leben vollschlagen. Das charmante Restaurant ist anscheinend auch zum Arbeiten beliebt. Man kann sich an einen der hohen Holztische setzen und entspannt das WLAN nutzen, während man den entspannten Passanten zuschaut. Überhaupt ist das Viertel recht verschlafen, aber vielleicht auch daher ungemein einladend. Foodies sollten sich unbedingt den Spinatkuchen im Kieztörtchen und die Chai Tees im Unterhaltung gönnen.
In Bochum ist das Bermuda3Eck bekannt für seine Partyszene des Nachts. Aber am Tag, ist das Ehrenfeld ein beliebter Treffpunkt. Die Butterbrotbar zum Beispiel ist besonders während der Mittagspause beliebt zum Entschleunigen. Direkt nebenan gibt es Eis im I Am Love oder Kuchen bei Fräulein Coffea – mein Tipp: Schaut Euch auch mal Heikes Artikel über das bezaubernde Café an.
Was sich so im coolen Ruhrpott regt
Meine kleine Reise durch den Ruhrpott von Essen über Dortmund nach Bochum war definitiv ereignisreich. So viel ist in so kurzer Zeit passiert und ich wollte eigentlich gar nicht weg. Die vielen Lichtinstallationen habe ich noch nicht ausgiebig entdecken können. Es gab noch so viele weitere Halden zu entdecken oder (Essens-) Festivals, wie das Weine vor Freude, zu besuchen. Ein weiterer Besuch ist daher unabdingbar. Und ich freue mich jetzt schon drauf!
Ein Artikel von Annemarie Strehl
Unsere Gastbloggerin Annemarie Strehl ist Schokoholiker, Kultur-Connoisseur, aber vor allem Weltenbummlerin. Ihr Plan war es, für ein Jahr Work & Travel nach Australien und Japan zu gehen. Aber dann kam alles ganz anders. Von einer Chaosepisode zur nächsten ging es in großen Schritten um die Welt. Und so wuchs ein kleiner privater Blog bald zu einer internationalen Unternehmung mit Followern auf der ganzen Welt. Beinahe über dem Great Barrier Reef ertrinken, einen Tempel durch das wildeste Fest Tokios tragen oder in Seoul wie eine Königin gefeiert zu werden, das sind nur ein paar der Geschichten und Reisetipps, die auf www.travelonthebrain.de erzählt werden.