Wenn man heute in der Überschrift „Stadien von oben“ verspricht, müssen vermutlich Drohnenbilder folgen. Nur: Meine Auge-Hand-Koordination ist deutschlandweit wohl eine der schlechtesten. Und so wäre die Gefahr viel zu groß, mit der Drohne in einen Schwarm Tauben zu geraten und im unbewachten Luftraum des Ruhrgebiets ein ungewolltes Massaker zu veranstalten. Die PETA-freundliche Variante ist eine Rundreise zu den Halden, Aussichtsplattformen und Türmen zwischen Dortmund und Duisburg, um auf die Orte zu blicken, die jedes Wochenende zigtausende Fußballfans anlocken.
Fernblick auf den schwarz-gelben Tempel
In Dortmund ist das der Signal-Iduna-Park. Für den Fernblick auf Deutschlands größten (und einzig wahren) Fußballtempel fahre ich in den Dortmunder Süden und parke in der Karl-Schwartz-Straße. Mein Ziel: Die Halde Gotthelf. „Der Abraum, der die Halde bildet, stammt aus der Zeche Glückauf Tiefbau, die 1925 stillgelegt wurde“, erklärt die Seite Ruhrgebiet-Industriekultur.de, die mir mit auf den Weg gibt, dass 155 Meter zu erklimmen sind. Die habe ich in rund fünf Minuten bewältigt und sehe vom Gipfel aus die Heimat Borussia Dortmunds.
Es ist Februar, und die Tristesse des Winters spielt mir in die Karten. Die Bäume sind kahl und wenn sie das nicht wären, würde ich den Signal-Iduna-Park vermutlich nur erahnen können, obwohl er keine drei Kilometer Luftlinie entfernt liegt. So schön die „Hombrucher Alpen“ sind, für einen Spaziergang mögen sie eine Option sein, für den (möglichst) perfekten Stadionblick sind sie das nicht.
Wir nähern uns dem Signal-Iduna-Park
Noch etwas dichter dran am Stadion und mitten in der Stadt gelegen ist das „Dortmunder U“. Früher war in dem imposanten Hochhaus die Dortmunder Union Brauerei zuhause, heute kann man hier kreativen Ausstellungen frönen oder einen Blick auf Nordrhein Westfalens drittgrößte Stadt werfen.
Dafür fahre ich das Auto ins Parkhaus und mit dem Fahrstuhl in das siebte Obergeschoss, steige ein paar Stufen die Treppe hinauf und habe einen fantastischen Blick auf die Dortmunder Innenstadt. Die weitläufigen Gleise des Hauptbahnhofs wirken aus 70 Metern Höhe wie die einer Modelleisenbahn und auch das Treiben der Menschen ähnelt dem im Miniatur-Wunderland. Was mir die Dachterrasse nicht ermöglicht, ist ein Blick aufs Stadion, von dem ich nur das Hinterteil sehe. Ein Stockwerk tiefer ist das anders, hier bettet sich der Signal-Iduna-Park in seiner ganzen Pracht und Schönheit vor mir, allerdings nur bei einem Blick aus dem Fenster. Für die schwarz-gelben Fans der GmbH & Co.KG auf Aktien dürfte sich das in Bezugnahme auf den Slogan „Echte Liebe“ wenig gefühlsecht anfühlen. Und damit rückt die dritte, nächstgelegene und letzte Option ins Blickfeld, aber auch die einzige, die nicht kostenlos ist: Der Florianturm, der als prägender Teil der Dortmund-Silhouette manchem Wohnzimmer Glanz verleihen dürfte.
Auf dem Florian – dem Stadion ganz nah
Unmittelbar vor dem Westfalenpark kann ich gratis parken, bis zum Florianturm sind es nur weniger Meter per Pedes. Die Fahrt auf die Aussichtsplattform in rund 140 Metern Höhe kostet mich nur 2,50 Euro und keine 30 Sekunden Lebenszeit.
Oben angekommen lobpreise ich den Herrn: Das „BVB Stadion Dortmund“ (wie es zur EURO 2024 heißen wird) versteckt sich nicht hinter Zweigen oder auf der anderen Seite einer Dachterrasse, es scheint gerade so, als hätte man den Florianturm nur gebaut, um den Signal-Iduna-Park bestmöglich ablichten zu können.
Dabei gab es das Stadion noch gar nicht, als der Florianturm 1959 anlässlich der Bundesgartenschau erschaffen wurde. Damals wie heute dient er nicht nur als Wahrzeichen und Aussichtsturm, sondern auch als Fernsehturm.
Kuchenliebe zum Dortmund-Abschluss
Keine zehn Autominuten entfernt befindet sich das „omaRosa“, hier möchte ich auf den Dortmunder Testsieger anstoßen. „Bei omaRosa wird GASTFREUDSCHAFT groß geschrieben und das spürt man schon beim Betreten des gemütlichen Cafés mit süßem Innenhof“, heißt es auf der Webseite.
Was ich beim Betreten sofort spüre, ist etwas anderes, nämlich einen großen Heißhunger auf Süßes, denn die opulente Kuchentheke ist wie ein Mixtape voller Lieblingssongs. Wie gerne würde ich die Uhr vordrehen, denn es ist Mittag und damit keine Kuchenzeit.
Meine Entscheidung zugunsten eines Fetas mit Pizzabrotstreifen ist keine falsche, und dennoch behaupte ich angesichts der Massen an Kuchen, die an die anderen Tische gebracht wurden: Ins „omaRosa“ geht man, um gut zu frühstücken oder um überragenden Kuchen zu essen.
Städtehopping zur „Blume des Reviers“
Ich verlasse Dortmund und fahre zur „Blume des Reviers“ nach Bochum. Im Stadtteil Riemke lädt der Tippelsberg laut eigener Webseite „zum Spazieren, Bewundern, Entdecken, Spielen, Drachensteigen, Verweilen und Träumen“ ein – und zu einem Blick auf das Vonovia Ruhrstadion.
Ich nutze den kostenfreien Parkplatz an der Hiltroper Straße, folge den Schildern und laufe einige Meter geradeaus. Dann führt mich eine Treppe auf das Gipfelkreuz des Tippelsbergs, das ich nach vielleicht zehn Minuten erreiche.
Tafeln helfen bei der Orientierung, sonst hätte ich die in nord-westlicher Richtung gelegene VELTINS-Arena, die eigentlich erst am zweiten Tag meiner „Stadien von oben“-Expedition Thema sein sollte, vermutlich gar nicht erspäht. Die rund zwei Kilometer Luftlinie entfernte Heimspielstätte des VfL Bochum entdecke ich dagegen auf den ersten Blick. Obwohl der Tippelsberg durch den Aushub der Bochumer U-Bahn-Strecke U35 aufgeschüttet wurde und damit auf eine Höhe von 150 Metern kommt, ist die Aussicht nicht ganz so genial wie die vom Florianturm auf den Signal-Iduna-Park.
VfL – Fan – Zimmer im Moxy am „Ruhrstadion“
Dass ich mir das Ruhrstadion bei meinem nächsten Halt von nahem ansehen werde, hat aber einen anderen Grund: Mein Hotel, das „Moxy“, liegt unmittelbar neben der 26.000 Menschen fassenden Arena.
Auf Wunsch wird einem der VfL im „Moxy“ noch näher gebracht und das Hotelzimmer in einen blau-weißen Tempel verwandelt: Eine Fahne dient als Tagesdecke, blau-weiße Luftballons liegen auf dem Bett und „Beruhigungs-Zäpfchen für Bochum-Fans“ sollen den Puls runterbringen, der nach dem Verzehr der Kiste Fiege in den Orbit schießen könnte. Aber das Allerbeste: Von meinem Zimmer in der sechsten Etage habe ich den perfekten Blick aufs Stadion.
„Legitimes Fremdgehen“ in Bochum
Als ich in meinem blau-weißen Bett liege, plagt mich mein schlechtes Gewissen. Der VfL Bochum ist zwar mein Fremdgehverein, aber „mein“ Herzensverein, der 1. FC Köln, dümpelt gerade mal wieder dem Abstieg entgegen – und ich habe nichts Besseres zu tun, als mich in blau-weißen Fahnen zu wälzen. Dann denke ich an dem kommenden Tag und daran, dass es immer jemanden gibt, dem es noch schlechter geht: Morgen steht der FC Schalke 04 im Mittelpunkt meiner „Stadien von oben“-Tour.