Essen am 3. April 2022. Ein kühler und wolkenverhangener Sonntag auf Zollverein. Großes Brimbamborium: Der NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst ist zu Gast am Welterbe. Da wird wohl eine bedeutende Business- oder Kulturveranstaltung über die Bühne gehen, sollte man meinen. Aber nix da: Unser Landesvater eröffnet einen neuen Wanderweg! Was? Der ganze Wirbel für einen Wanderweg? Wir befinden uns zwar mitten im Landtagswahlkampf und Bürger:innennähe ist noch mehr Politiker:innenpflicht als zu anderen Zeiten, aber dass sich die Düsseldorfer Prominenz zum Wandern im Essener Norden einfindet, ist schon erstaunlich. Doch tatsächlich: Der ganze Aufwand nur, weil der ZollvereinSteig an den Start geht.
Nun bin ich, was das Wandern im Ruhrgebiet angeht, recht bewandert (sorry, den musste ich verwandeln ;-)) und habe sowohl beruflich als auch privat schon einiges dazu angestellt. Die Planungen und Entwicklungen rund um den ZollvereinSteig habe ich zudem aus dem Grund intensiv verfolgt, als dass mein ehemaliger Arbeitskollege aus Zeiten der Kulturhauptstadt RUHR.2010, Ralph Kindel, Mitinitiator und Architekt dieses Wanderweges ist. Doch dass ein neuer Wanderweg eine solche Aufmerksamkeit auf sich zieht, überrascht auch mich. Die beiden erfolgreichen Essener Schwestern des ZollvereinSteigs – der Baldeneysteig und der Kettwiger Panoramasteig – haben zumindest keinen vergleichbar prominenten Start hingelegt. Daher steht für mich schon an diesem 3. April fest, dass ich nicht lange mit meiner Erst-Begehung des ZollvereinSteigs warten werde.
Gesagt, getan!
Keine zwei Monate später stehe ich an einem warmen und weitestgehend sonnigen Montagmorgen mit einigen Wanderfreund:innen (Resturlaub, Überstundenabbau und flexiblen Arbeitszeiten sei Dank) am Rande des Revierparks Nienhausen in Gelsenkirchen und bin bereit für die knapp 26 km des ZollvereinSteigs, die wir uns für heute vorgenommen haben. Der ZollvereinSteig ist als Rundtour konzipiert und muss nicht – so wie wir es tun – als Tages-, sondern kann wunderbar auch als Mehrtagestour erwandert werden. Als Ausgangspunkt für die Wanderung eignet sich in erster Linie das Welterbe Zollverein (nomen est omen).
Allerdings haben wir uns entschieden, dass wir unsere Rundtour über den ZollvereinSteig auf Gelsenkirchener Stadtgebiet beginnen und beenden wollen, damit wir um die Mittagszeit und der damit verbundenen Pause das Welterbe Zollverein erreichen. Die Anreise erfolgt mit der Kulturlinie 107, die den Essener mit dem Gelsenkirchener Hauptbahnhof verbindet. Zwischen den Haltestellen „Revierpark Nienhausen“ und „Fürstinnenstraße“ kreuzt der ZollvereinSteig die Straßenbahnlinie. Und genau dort beginnen wir unsere Tour. Da wir gegen den Uhrzeigersinn auf dem ZollvereinSteig wandern, starten wir in Richtung Norden und freuen uns von Anfang an über die tolle Beschilderung des Weges. Die rote Welle über blauem Balken wird uns – und das nehme ich gerne vorweg – zuverlässig durch den Tag führen.
Ruhrpott-Dreiklang
Wir sind noch keinen Kilometer gewandert und schon macht der „Steig“ seinem Namen alle Ehre. Auf einem schmalen und steilen Trail durchs Unterholz erklimmen wir die erste Halde unserer heutigen Tour: Die Halde Zollverein 4/11. Die Halde hat zwar keine spektakuläre Landmarke zu bieten, ist aber schön grün und bietet Ausblick auf das Zollverein-Gelände und die Essener City. Auf der anderen Seite der Halde treffen wir zum ersten Mal auf die Fahrradtrasse, die von der Zeche Zollverein zum Rhein-Herne-Kanal führt (Nordsternweg) und befinden uns mitten in einer DER ruhrgebietstypischen Nachbarschaften schlechthin.
Um uns herum erstreckt sich ein Ruhrpott-Dreiklang aus Brieftaubenklinik, Moschee und Zechenkolonie. Die Taubenklinik am Sitz des Verbands Deutscher Brieftaubenzüchter e.V. widmet sich seit 50 Jahren der Gesundheit der „Rennpferde des kleinen Mannes“ und erfreut sich (zumindest in der Szene der Taubenzüchter:innen) weltweiter Bekanntheit. Auf der anderen Straßenseite erhebt sich (inzwischen auch schon seit 25 Jahren) der einzige architektonische Moscheebau in Essen, die Fatih-Moschee. Hinter dieser liegt die Arbeitersiedlung Hegemannshof, die bereits im 19. Jahrhundert als Zechenkolonie für die Zeche Zollverein erbaut wurde und deren erhaltener Teil entlang der Meerbuschstraße zu einer Zeitreise einlädt.
Begegnungen
Wir verlassen den Nordsternweg wieder und erfreuen uns am satten Grün entlang des renaturierten Katernberger Baches und einer versteckt liegenden Bahnstrecke, nur um die Fahrradtrasse anderthalb Kilometer später erneut zu kreuzen. Unsere Wanderlust erhält einen kleinen Dämpfer als wir feststellen müssen, dass eine ca. 30-köpfige Wandergruppe ab hier anscheinend auch dem ZollvereinSteig folgen möchte. Das ist ja wie auf dem Jakobsweg – Overtourism in Katernberg! Während wir die Gruppe vorbei marschieren lassen wollen, entdecke ich auf einmal bekannte Gesichter und werde freundlich gegrüßt… Nix Overtourism: Das sind die Kolleg:innen der Essen Marketing GmbH auf ihrem Betriebsausflug. Zufälle gibt es!
Bis zur nächsten Halde wandern wir plaudernd durchs Grüne und ich merke gar nicht, dass wir die A42 queren. Die Essener Kolleg:innen bleiben für einen Zwischenstopp zurück und uns führt der ZollvereinSteig auf breitem Weg und in sanfter Steigung hoch zur Halde Eickwinkel. Die Halde ist zwar nicht besonders hoch, eröffnet aber einen Panoramablick auf die Haldenlandschaft des nördlichen Ruhrgebiets. Von links nach rechts erheben sich die Schurenbachhalde, die Halde Beckstraße, die Halde Haniel, die Braucker Alpen mit der Mottbruchhalde, die Halde Oberscholven, die Rungenberghalde und die Halde Hoheward. Ach watt schön! Der Abstieg von der Halde Eickwinkel gestaltet sich etwas steiler und es kommt noch einmal (zumindest ein wenig) Steig-Atmosphäre auf während wir die offizielle Mountainbike-Strecke kreuzen, die der RVR hier unter dem Namen „Brammentrail“ eingerichtet hat. Leider liegt diese am Montagvormittag verwaist da und uns ist keine MTB-Action vergönnt. Im Tal zwischen der Halde Eickwinkel und der Schurenbachhalde treffen wir zum dritten und letzten Mal auf den Nordsternweg, ehe wir direkt in den nächsten Anstieg einsteigen.
Auf den höchsten Gipfel
Auch der Weg hoch zur Schurenbachhalde führt zunächst über schmale Pfade, die sich hinter Wanderwegen in deutschen Mittelgebirgsregionen nicht verstecken müssen. Allerdings bleibt es in diesem Fall bei einem kurzen Vergnügen, denn der weitere Anstieg zum Haldentop verläuft über die breiten Wege auf den unterschiedlichen Bermen der Halde.
Auch hier lässt es sich fein laufen, allerdings sind wir verwundert, welch unnötige Schlenker der ZollvereinSteig beim Aufstieg über die West- und Nordhänge der Halde macht. Hier (und noch vielmehr beim Halden-Abstieg, der über eine umständliche Schleife oberhalb der A42 geführt wird) sind wir alle, die wir heute gemeinsam wandern, der Meinung, dass die Wegeführung hätte kürzer ausgeführt werden sollen. Das Haldenerlebnis würde darunter gewiss nicht leiden.
Wie auf dem Mond
Und ja: Haldenerlebnis kann Schurenbach! Ich zitiere an dieser Stelle gerne aus einem meiner anderen Blogartikel: „Ich liebe die „Mondlandschaft“ oben auf der Schurenbachhalde. Sie hat für mich ein ganz besonderes Flair. Rau und offen! So wie das Ruhrgebiet eben!
Im Kontrast zum blauen Himmel bildet sie zusammen mit der Bramme ein überragendes Fotomotiv.“ Heute erwartet uns an der Bramme zudem noch ein besonderes Schmankerl: Sektempfang! Ärgerlich nur, dass das Tischlein-Deck-Dich nicht für uns, sondern für die bereits erwähnten Betriebsausflugs-Kolleg:innen des Essener Stadtmarketings gedacht ist.
Wohl bekomm‘s. Naja, wir haben unsere Mittagspause ja eh für Zollverein geplant und auch was den maßvollen Alkoholgenuss angeht, haben wir noch etwas in petto. Dazu aber später.
Essen parzelliert – Kleingärten und Friedhöfe
Nun schwenkt der ZollvereinSteig nach Süden, unterquert erneut die A42 und schlängelt sich erstmalig durch Wohnbebauung. Ein Kiosk bietet die Möglichkeit, den Rucksack mit Getränken oder Süßigkeiten aufzufüllen. Ehe wir uns versehen, tauchen wir erneut in eine typische Ruhrgebietskulisse ein. Wir durchwandern die ausgedehnte Anlage des Kleingartenvereins Altenessen 1892 e.V. (Ich traue mich nicht „Schrebergartenkolonie“ zu schreiben, dafür ist hier alles viel zu gepflegt und aufgeräumt. Gartenzwerge haben wir allerdings keine gesichtet.) Der Biergarten des Kleingartenvereins, der am Montagvormittag verständlicherweise nicht geöffnet hat, lädt den Wandernden (normalerweise) zum Verweilen ein. Nahtlos marschieren wir von einem Grünzug in den nächsten und durchqueren nun den Essener Nordfriedhof. Wir sind überrascht, dass der Friedhof in weiten Teilen eher Parkatmosphäre anstatt klassisches Friedhofsflair versprüht.
Außerdem treffen wir erstmalig auf eine Gattung, die ich in dieser Form zum ersten Mal in meinem Leben sehe… (Haben wir möglicherweise eine für Essen endemische Art ausfindig gemacht?): Den Gießkannenbaum! Der Nordfriedhof ist übrigens nur einer von mehreren Friedhöfen, die der ZollvereinSteig durchschneidet. Kleiner Tipp: Im Eingangsbereich der Friedhöfe finden sich in der Regel öffentliche WC’s. So sammelt der ZollvereinSteig fleißig Pipipausen-Pluspunkte. Während wir angeregt über die Bandbreite der Grabgestaltung diskutieren (der Nordfriedhof bietet diesbezüglich reichlich Anschauungsmaterial, vom Kunstrasenteppich bis zum Carrara-Marmor mit integrierter Lichtleiste ist alles dabei), lassen wir den Friedhof hinter uns und erreichen auf grünen Pfaden die Zeche Carl.
Der Essener Norden ist bunt
Wie nicht anders zu erwarten wirkt auch das Gelände der Zeche Carl an einem späten Montagvormittag recht verwaist. Das sieht zu anderen Tageszeiten und an anderen Wochentagen häufig anders aus, schließlich ist die Zeche Carl für ihr vielfältiges Kultur- und Unterhaltungsprogramm weit über die Essener Stadtgrenzen hinaus bekannt.
Außerdem kommt auch dadurch Leben in dieses fotogene Industriekultur-Ensemble, weil sich die Zeche Carl als soziokulturelles Zentrum für den Stadtteil Altenessen versteht und ein entsprechendes Angebot vorhält. Für Wanderer:innen auf dem ZollvereinSteig ist es allerdings bedauerlich, dass die ansässige Gastronomie inklusive schönem Biergarten nicht vor 17.00 Uhr öffnet (außer sonntags). Dies ist mit ein Grund warum es uns zügig weiterzieht. Nur noch dreieinhalb Kilometer bis zur Zeche Zollverein und bis zu unserer Mittagspause. Für wenige hundert Meter spüren wir nun, dass wir mitten durch eine Großstadt wandern. Das Verkehrsaufkommen entlang der Wilhelm-Nieswandt-Allee und an deren Kreuzung mit der Altenessener Straße und der Stauderstraße ist überaus urban. Einen Augenblick später sind wir aber schon wieder autofrei und ohne Straßenbegleitung unterwegs und erreichen kurz darauf den Kaiser-Wilhelm-Park.
Sozio-Kulinarik
Da der Park richtig schön ist, die Sonne gerade ein weites Wolkenfenster gefunden hat, eine gemütliche Bank am Wegesrand steht und für unseren Mitwanderer Lars ‚Wandern‘ grundsätzlich gleichbedeutend mit ‚Weinwandern‘ ist, treffen wir den spontanen Entschluss, schon hier und jetzt eine Pause einzulegen. Schnell sind die Weingläser verteilt, das kühle Fläschchen geöffnet und wir ungewollt Teil eines sozio-kulinarischen Experiments. Keine Hundebesitzerin, kein Jogger, kein Radfahrer und keine Mutter mit Kinderwagen, die uns nicht freundlich zunicken und uns mit einem fröhlichen ‚Prost“ einen schönen Tag wünschen.
Weintrinkend versprühen wir anscheinend gute Laune. Ich wage zu behaupten, dass wir – hätten wir zur Mittagszeit auf der Parkbank statt des gefüllten Weißweinglases ein Fläschchen Stauder in der Hand (ein Getränk, welches sicher besser zum ZollvereinSteig passt als der Wein, zudem die Brauerei nur einen Steinwurf vom Kaiser-Wilhelm-Park entfernt liegt) – wir eher abfällige Blicke ernten und sicher keine so angenehme Interaktion mit den anderen Parkbesucher:innen auslösen würden. Lerne: Nicht nur Kleider machen Leute, sondern auch Getränke. Wir genießen die Sonne im Gesicht und lassen die Zeit verstreichen. Aber es nützt ja nichts: Wir müssen weiter, wir haben schließlich noch mehr als die Hälfte des Weges vor uns.
Zu Gast bei der Namensgeberin
Eine weitere Wohnsiedlung, eine weitere Kleingartenanlage und ein weiteres Waldstück später erreichen wir das Gelände des Welterbe Zollverein. Hier gilt leider das Gleiche wie bei der Schurenbachhalde: Der ein oder andere Schlenker weniger hätte dem Wanderweg gut getan. Ich kann die Macher des ZollvereinSteigs durchaus verstehen, dass sie den Besuchenden (insbesondere den Auswärtigen unter ihnen) möglichst viel des UNESCO-Welterbe zeigen wollen und daher sowohl das Gelände der Zeche als auch der Kokerei mit reichlich Weganteil bedacht haben. Meine eigene Wandererfahrung und –motivation sagt allerdings, dass jemand, der sich auf eine Streckenwanderung begibt, kein Fan von Wegschleifen ist, die kein Fortkommen erkennen lassen.
Jetzt gibt´s Mittach
Wer sich das Zollverein-Gelände ausführlich anschauen möchte, macht das höchstwahrscheinlich nicht im Zuge einer 26 km langen Wanderung, sondern im Rahmen eines separaten Besuchs. Da unsere Wandergruppe mit dem Zollverein-Gelände vertraut ist, kürzen wir ab, lassen den Schlenker über das Kokerei-Gelände links (oder in unserem Fall eher rechts) liegen und steuern auf der Direttissima das Bistro Schacht XII an, um uns die Mittagspause – wie sollte es anders sein – mit der obligatorischen Mantaplatte zu versüßen. Über die Zeche Zollverein ist schon so viel geschrieben worden (auch in diesem Blog), dass ich mich kurz halten möchte. Natürlich ist das Zollverein-Gelände das unangefochtene Highlight im Rahmen einer Wanderung auf dem ZollvereinSteig; und zwar in jeder Hinsicht: Historie, Fotospot, Gastronomie und Service-Angebot, Kultur, schiere Größe etc. Also bitte unbedingt – je nach Zollverein-Vorkenntnis und Intention der Wanderung auf dem ZollvereinSteig – ausreichend Zeit einplanen!
Entspannte Schlussetappe
Gestärkt und ausgeruht verlassen wir das Welterbe Zollverein und tauchen sofort wieder in den nächsten Grünzug ein. Abseits aller Straßen geht es auf den kommenden 2 km über das Hallo, eine (ausnahmsweise mal natürliche) Erhebung im Essener Norden, die Namensgeberin sowohl für den Hallopark, den wir zunächst durchwandern, wie auch die Sportanlage am Hallo und den Friedhof am Hallo ist, den wir anschließend unter die Sohlen nehmen. Am oberen Ende des Friedhofs angekommen hat man eine tolle Aussicht zurück in Richtung Zollverein und bis weit in den Norden des Ruhrgebiets.
In einem kleinen Waldstück erleben wir dann nochmal ein wenig Trail-Atmosphäre. Wir wandern auf kleinen Pfaden, die allem Anschein nach regen Gebrauch durch Mountainbiker erfahren, durch Gebüsch und eng stehende Bäume. Danach passieren einen Modellflugplatz. Leider ist auch hier an einem Montagnachmittag nichts los. Wäre sicher spannend gewesen. (Memo an mich: Die nächste Wanderung auf dem ZollvereinSteig sollte an einem Wochenende stattfinden.)
„Getränke machen Leute“ Teil 2
Als wir das nächste Wäldchen verlassen, kommt uns eine Männergruppe entgegen, deren Mitglieder augenscheinlich schon etwas tiefer ins Glas geschaut haben. Kommentar aus unserer Wandergruppe: „Die machen auch ‚Weinwandern‘… ‚Branntweinwandern‘!“ So viel zum Thema „Getränke machen Leute.“
Wir nähern uns nun wieder der Stadtgrenze nach Gelsenkirchen, lassen auf einem Spielplatz unsere verbliebenen Kräfte freien Lauf, ziehen durch ein am Hang liegendes Wohngebiet mit den wohlklingenden Straßennamen „I. Stiege“, „II. Stiege“, „III. Stiege“ und „Steiler Garten“, kreuzen mit dem Zollvereinweg eine weitere zu einem komfortablen Radweg umgebaute Bahntrasse und entern den nächsten Friedhof. Danach folgt der letzte Kontakt mit dem Straßenverkehr ehe wir erneut (und jetzt schon für die finalen zweieinhalb Kilometer) im Grün verschwinden.
Auch auf Gelsenkirchener Gebiet bleibt der ZollvereinSteig sich treu: Er führt durch Wiesen, kleine Wälder und Parkanalagen. Wir befinden uns nun in den Grünflächen rund um den Revierpark Nienhausen und haben – ehe wir uns versehen – den Start- und somit auch Zielpunkt unserer heutigen Wanderung erreicht. Wir plündern unsere Rucksäcke um die letzten Vorräte und während wir Muffins-kauend auf die Straßenbahn warten, lassen wir die Tour Revue passieren.
ZollvereinSteig – Fazit
So sehr wir von auswärtigen Gästen genervt sind, die bei ihrem ersten Besuch im Ruhrgebiet aus allen Wolken fallen, wenn sie feststellen dürfen, wie grün es doch hier ist, umso überraschter sind wir selbst, wie grün das Ruhrgebiet wirklich ist. Eine über 25 km lange Wanderung durch Essen und Gelsenkirchen, auf der man kaum Berührung mit dem Straßenverkehr hat, das hatten wir nicht erwartet! „Chapeau“ an die Macher des ZollvereinSteigs! Die geschickte Kombination aus Parkanlagen, Friedhöfen, Halden, Kleingartenanlagen, Renaturierungsflächen und sonstigen Grünzügen ist richtig gut gelungen und sorgt für ein erholsames und komfortables Wandererlebnis. Zudem ist die Beschilderung engmaschig und lässt kaum Wünsche offen, auch wenn man mitunter den Eindruck hat, dass die Markierer:innen mit der heißen Sprühdose unterwegs waren, sind doch etliche ZollvereinSteig-Logos nicht zu Ende geführt worden. (Aber frisch gepinselte Quadrate in leuchtendem Weiß genügen auch ohne blauen Balken und rote Welle zur Orientierung.) Ich bin gespannt wie intensiv die Pflege des Steigs in den kommenden Jahren ausfallen wird, da schon zu Beginn des Sommers einige Markierungen einen Freischnitt hätten vertragen können.
„Wandern, wo der Ruhri spazieren geht“
Einziges Manko in unsere Augen bleibt die umständliche Wegeführung rund um die Schurenbachhalde und das Zollverein-Gelände. Hier wäre durchaus Potential vorhanden, den ZollvereinSteig um bis zu 3 km einzukürzen. Die nördliche Hälfte des ZollvereinSteigs gestaltet sich sehr kurzweilig, da sich etliche Höhepunkte aneinander reihen (beispielhaft seien nur die 3 Halden und 2 ehemaligen Zechen erwähnt), während die Südhälfte eher arm an touristischen Highlights ist, was aber dem Wandergenuss keinen Abbruch tut. Eigentlich ist es nämlich genau das, was den ZollvereinSteig ausmacht: Man erwandert weder das Ruhrgebiet aus dem Tourismus-Katalog (das Welterbe Zollverein mal ausgenommen), noch eine Landschaft zum Verlieben und erst Recht keinen fulminanten Insta-Walk. Vielmehr präsentiert der ZollvereinSteig das alltägliche und triviale Ruhrgebiet von nebenan. Ganz nach dem Motto „Wandern, wo der Ruhri spazieren geht“ (wahlweise joggt, den Hund Gassi führt oder Brombeeren pflückt). Sollte Herr Wüst mal wieder das Bedürfnis nach Bürger:innennähe haben, auf dem ZollvereinSteig würde er sicher Befriedigung finden.
Der Zollvereinsteig bietet eine beeindruckende Landschaft für eine Alltagswanderung im Ruhrgebiet. Besonders interessant ist die Möglichkeit der individuellen Grabgestaltung nach Wunsch auf diesem Friedhof. Es ist ermutigend zu sehen, dass Hinterbliebene hier die Freiheit haben, ein Grab ganz nach den persönlichen Vorstellungen und Wünschen zu gestalten.
Lieber Christoph,
danke für den tollen, authentischen und mit viel Wortwitz gespickten Blogbeitrag. Ich bin den Zollvereinsteig vor gut einem Jahr (noch vor offizieller Eröffnung und noch ohne Beschilderung) gewandert und kann Deine Begeisterung für diesen urbanen Wanderweg im grünen Essener Norden absolut nachvollziehen und teilen. Auch Deiner Einschätzung, dass man sich die Schlenker bei Zollverein und an der Schurenbachhalde hätte schenken können, stimme ich zu. Zwei kleine Anregungen. Dein Blog liest sich toll, aber gerne auch da mal den ein oder anderen Schlenker weniger einbauen. Das tut der Begeisterung beim Lesen und zum Nachahmen des Wanderns sicher keinen Abbruch und gilt gerade für Leser, die das Ruhrgebiet noch nicht so gut kennen, aber dadurch zum Kennenlernen inspiriert werden. Ich fand den Einschub mit dem Wein und den Weinwanderern sehr genüsslich und ein spontaner Gedanke lässt mich nicht mehr los. Wenn für die Planung und Organisation eines Zollverein-Steig-Events – nennen wir es als Arbeitstitel plump „Weinwanderung“ – mal Unterstützung benötigt wird, helfe ich da gerne ehrenamtlich mit. Wenn dann die von Dir erwähnten „auswärtigen Gäste“ sich nicht nur über das grüne Ruhrgebiet wundern, sondern auch noch darüber, dass mitten im Ruhrgebiet Wein getrunken wird, ist sicher keiner genervt. Stattdessen seufzt das Ruhriherz gleichermaßen mit den Auswärtigen: „Nee, wat schön und wat lecker hier mitten im Pott“ ;-). Und am besten die Weinwanderung im Frühjahr machen, denn im Herbst kann ja jeder und das gibt’s dann inflationär in den Weinregionen. Im Pott ist halt alles anders! Da kommt dann eben der (Wein-)Berg samt Winzer zum Propheten (= Zollvereinsteig). Und falls wider Erwarten keine Winzer diese Idee unterstützen – was ich nicht glaube – dann planen wir für nächsten Herbst einen 4. (Weinwander-) Steig mitten im Pott und in Essen rund um die Weinbars aus einem eurer anderen Blog-Artikel. Motto: „(Visit)Essen und Wein“ (Sorry, den musste ich jetzt raushauen, aber ich üb‘ da auch nochmal dran…;-)). Macht gerne weiter mit euren tollen Aktiv-Aktionen und Blogs. Herzlichst, ein Fan der RTG
Hallo Oliver,
vielen Dank für dein ausführliches Feedback. Schön zu lesen, dass Dir unser Blog insgesamt so gut gefällt. Deine Hinweise zu meinem Artikel versuche ich mir beim Verfassen des nächsten Beitrags zu Herzen zu nehmen. Aber ich kann nicht versprechen, dass ich nicht doch wieder an der ein oder anderen Stelle abschweife 🙂
Deine Erläuterungen zum Thema „Weinwandern“ finde ich übrigens ganz spannend. Die RTG selbst käme da zwar als Organisator nicht in Frage, aber ich nehme den Gedanken mal mit zum nächsten Termin mit den Kollegen des Essener Stadtmarketings 😉
Viele Grüße und alles Gute,
Christoph
Hallo Christoph,
danke für Dein Feedback. Don’t worry, wenn es um „unser schönes Ruhrgebiet“ geht, ist Abschweifen völlig ok. Das kenne ich von mir selber, wenn ich „Auswärtigen“ erzähle, was es ihr hier bei uns im Revier tolles zu erleben gibt. Bin gespannt, wie die Essener Kollegen auf die Wein-Idee reagieren…
Ich freue mich auf den nächsten Blog-Beitrag.
Viele Grüße
Oliver